Ja, #MeToo. Das Wer, Wann, Wo, Wie oft – gehört nicht in diesen Kontext. Nur ein öffentliches #MeToo. Weil mein #MeToo seit früher Kindheit nie mehr aufgehört hat. Jede sexistische Aktion, jede sprachliche, psychische, physische Gewalt, jede sexuelle Gewalt im Alltagsleben gegen Frauen und Kinder – #MeToo. Jede Medienberichterstattung darüber – #MeToo. Immer mitbetroffen, unmöglich sich dem zu entziehen. Sexistische Werbung, Sexismus in Medien wie BILD, sexistische Sätze und Bilder, Bilder sexueller Gewalt in den Social Media – #MeToo. Der brutale “Wiesenhof – Werbespot“ von Atze Schröder – #MeToo! Sexistische Sprüche am Arbeitsplatz, im Zug, auf der Straße – #MeToo. Bilder und Gefühle steigen wieder hoch, so tief sie auch verdrängt sind, so sehr sie auch bearbeitet wurden. Und jedes Mal eine neue Verletzung, Demütigung, Missachtung, Herabsetzung – #MeToo.
Jedes genüssliche, verharmlosende, schlüpfrige “Sex-Affäre“, “sexueller Missbrauch“, “Sexskandal“, “Wird Hollywood jetzt keusch?“ (BILD 18.10.2017) in den Medien lässt innerlich aufschreien. Nein, es ist Gewalt, oft brutale physische Gewalt eines seine körperliche Kraft, seine Position, seine Macht ausnutzenden Mannes!
Das ist das Furchtbare, Zerstörerische an dieser ewigen Geschichte von Sexismus, sexueller Gewalt und physischer Gewalt gegen Frauen und Kinder ausgeübt von Männern. Selbst wenn das persönliche #MeToo vorbei ist, es wirkt dennoch lebenslang. Kein Ende in Sicht? Tagtäglich erleben Millionen Frauen (ja, auch Männer) und Kinder, Mädchen und Jungen, ihr #MeToo, immer wieder, weltweit. Diese Gewalt in allen Facetten wird mehrheitlich von Männern ausgeübt. Es sind Väter, Stiefväter, Großväter, Brüder, Onkel, Cousins, Mitschüler, Freunde, Lebenspartner, Ehemänner, Arbeitskollegen, Vorgesetzte, Coachs, Therapeuten, Priester, Imame, Ärzte, Trainer, Nachbarn. Es sind Männer auf der Straße, Mitreisende, Männer im öffentlichen Nahverkehr, in Sport- und Freizeitstätten. Im Politikbetrieb, in der Wirtschaft, in Schulen und Hochschulen, in Gotteshäusern. Sie tun es überall jederzeit in allen Ausprägungen.
Besonders zerstörerisch wirkt diese Gewalt, wenn sie von Männern in “Helferberufen“ ausgeübt wird. Von Coachs, Therapeuten, Psychologen, Psychiatern, Sozialarbeitern und -Pädagogen, Erziehern, Betreuern im Jugendamt und den vielen anderen, die ihre starke Macht des Helfers ausnutzen. Deren Aufgabe es ist, Frauen und Kinder zu schützen, ihnen in beruflichen, sozialen, psychischen, existenziellen Notlagen zu helfen. Die betroffenen Frauen und Kinder haben oft gar keine Stimme mehr, um #MeToo zu sagen.
In den Social Media eine Menge Hashtags: #MeToo #aufschrei #ausnahmslos #WhyIsaidnothing #WhyIDidntReport #ichhabenichtangezeigt #ImZugPassiert #WhenIwas #BalanceTonPorc #MyHarveyWeinstein und noch viele mehr. Seit Jahren schon beschreiben Frauen, was Männer ihnen angetan haben. Beschreiben Erfahrungen von Sexismus, sexueller Gewalt, brutaler Gewalt von Männern, die sie als Kinder, Jugendliche, Erwachsene erleben mussten. Heute reicht es sogar für ein kurzes Medienecho und für ein paar Lippenbekenntnisse. Dann wendet man(n) sich wieder seinen wirklich “wichtigen“ Themen zu. Bisher haben nur wenige Männer ernsthaft zugehört.
Auch der vordergründig anscheinend so aufgebauschte Vorfall um die Berliner Staatssekretärin Sawsan Chebli ist keineswegs so harmlos, wie er vielleicht auf den ersten Blick aussieht. Er zeigt die tiefe Verachtung von Männern für Frauen in politischen Führungspositionen, die sie dann in den Mantel “Kompliment“ wickeln. Dies ist im deutschen Politikbetrieb kein Novum. Bei der Ernennung zur Verteidigungsministerin bekam auch Frau Dr. von der Leyen es zu spüren. Gerade im deutschen Politikbetrieb, vor allem bei CDU, CSU, FDP und AfD, sammeln sich die jungen und alten Männer, denen die im Grundgesetz verankerte Gleichberechtigung von Frauen ein besonderer Dorn im Auge ist. Von “große, süße Maus“, “Kaninchenjagd“, über “besondere Frauenförderung“ a la Weinstein ist hier alles zu finden, leider nicht nur bei den genannten Parteien. Das #MeToo der Frauen aus dem deutschen Politikbetrieb ist noch sehr, sehr zaghaft und leise. Deshalb ist es auch so wichtig, dass Frau Chebli ihren Fall öffentlich machte.
Und dann, der besondere Höhepunkt des Sexismus im deutschen Politikbetrieb. Erinnert sich überhaupt noch jemand an die sexistische Aktion des CDU-Bürgermeisters der Stadt Triberg Gallus Strobel. Der ließ mit öffentlichen Geldern seinen persönlichen Sexismus an die Wand eines öffentlichen Gebäudes malen. Er wurde nicht angezeigt, nicht vor Gericht gestellt, nicht verurteilt, nicht bestraft, nicht aus dem Amt gejagt. Seine Partei, die CDU, ließ ihn gewähren. Wahrscheinlich freuten sich viele Parteifreunde über diesen gelungenen Coup öffentlich demonstrierten Sexismus und Frauenverachtung. Die anderen Parteien schauten unbeteiligt zu. Vollkommen unbehelligt kann er heute 2017 erneut als Bürgermeister für die Stadt Triberg kandidieren. Das zeigt, wo Deutschland und gerade die deutsche Politik beim Thema Sexismus und sexuelle Gewalt noch heute stehen!
Interessiert das wen? Man(n) wird doch noch. Sollen die Frauen dies doch gefälligst selbst lösen. Sollen sie sich doch wehren. Sollen sie den Männern doch keinen Anlass bieten, sie anzugreifen. Sollen sie doch gute Miene zum bösen Spiel machen. Ist ja alles doch nur ein “herrlicher“ Witz. Sollen sie doch “die Bluse zumachen“! Frau ist doch selbst schuld! Wer sich in Gefahr begibt, …! #Victimblaming von Männern. Kollektive männliche Verdrängung des eigenen Täterseins. Auch Frauen, wie Birgit Kelle, beteiligen sich gerne an der kollektiven Verleugnung männlicher Täterschaft. Können sie doch so auf dem Brett männlicher Dominanz unbehelligt mitsurfen und profitieren noch davon.
Die Gewalt, die von Männern ausgeht, die sogenannte “Rape-Culture“ können Frauen und Kinder nicht beenden. Wir können uns wehren, anzeigen, dagegen anschreiben, uns engagieren. Beenden können es nur die Männer.
Organisationen wie StopBildSexism, PinkStinks, der Blog Ich-mach-mir-die-Welt, Terres de Femmes und die vielen anderen kämpfen schon seit Jahren gegen Sexismus und Gewalt, ausgeübt von Männern. Sie zeigen täglich auf, dass auch 2017 #becauseits2015 immer noch nicht gilt, besonders in Deutschland nicht. Ein Anfang wäre schon mal: Sexismus, besonders in Medien, Werbung und im öffentlichen Raum wird genauso bestraft wie Rassismus. Freiwillige Selbstkontrolle der Täter reicht hier nicht. Sexistische Werbung in der Privatwirtschaft wie im öffentlichen Raum werden vom Gesetzgeber verboten. Das sogenannte “Cat-Calling“ wird als Ordnungswidrigkeit geahndet.
Aber halt, wer macht unsere Gesetze in Deutschland? Männer! Eine Menge Männer, die die ganze Aufregung um Gleichberechtigung, Sexismus, sexuelle Gewalt, Gewalt nicht verstehen können. Ihre Weigerung, persönlich anzuerkennen, dass Frauen und Männer gleichberechtigt sind, macht Deutschland bis heute zum Entwicklungsland in Sachen Gleichberechtigung. Diese Männer fühlen sich in ihrer männlichen Macht und ihren daraus bezogenen Positionen von Frauen bedroht. Sie wollen nicht sehen, dass Sexismus, sexuelle Gewalt, Gewalt von ihnen ausgeht. Dann müssten sie sich ihren eigenen sexistischen, patriarchalischen Überzeugungen stellen. Sie sind nicht bereit, ihre politische Machtposition zugunsten einer gleichberechtigten paritätischen Teilhabe von Frauen im Politikbereich aufzugeben.
Wie erklärt sich sonst das Gezerre in der deutschen Politik um Wahlrecht für Frauen, Arbeitsrecht für Frauen, Vergewaltigung in der Ehe, Frauenquote? Im Grunde bei allen frauenpolitischen Themen, die Deutschland der Gleichberechtigung einen winzigen Schritt näher bringen könnten. Das Ergebnis der Bundestagswahl 2017 zeigt: Wenn CDU, CSU, FDP und AfD Wahlen gewinnen in Deutschland, verlieren die Frauen. Und die Parlamente verlieren Frauen. Wundert das jemand? Das System “Weinstein“ herrscht auch in der deutschen Politik. Die “Tarrantinos“, die “Best Buddies“ in der Politik schweigen bis heute. Mit diesen “Herren“ ist kein deutscher Staat zu machen, der auf dem Gleichberechtigungsgrundsatz des Grundgesetzes und der Menschenrechtscharta basiert.
Kein Ende in Sicht? Doch, jetzt, nach dem letzten #MeToo, tauchen sie auf, die anderen Männer. Endlich bricht eine neue Generation Männer ihr Schweigen. Sie zeigen sich öffentlich. Auch Männer meiner Generation und älter machen öffentlich, sie haben es endlich verstanden. Es ist ihr Problem. Sie wollen es nicht länger den Frauen zuschieben. Eine lang herbeigesehnte Reflexion von Männern über Männlichkeit, männliche Macht, männliche Sexualität und männliche Gewalt, über patriarchalische Systeme beginnt. Von Männern selbst gestartet. Die nicht mehr länger zusehen und sich raushalten wollen. Die sich nicht mehr länger an Unterdrückung, Sexismus, an “Rape-Culture“ beteiligen wollen, aktiv oder durch ihr Schweigen, Wegsehen, Verharmlosen, Witze reißen, kollektives Victim-Blaming. Das männliche Schweigen über Sexismus, sexueller Gewalt und Gewalt hat viele Spielarten.
Da ist auf einmal Julian Dörr mit seinem Texten am 14.10.2017 und 19.10.2017 in der Süddeutschen. Alan Posener in der Welt! Bei dem Text von Christian Gesellmann #metoo – Ich auch, Tränen. #MeToo – und dann das Gefühl von Erleichterung: Endlich. Wie lange schon darauf gewartet. Es begann schon früher, eher leise aber konsequent. Mit Männern, die sich bei StopBildSexism, Pinkstinks, Ich-mach-mir-die Welt usw. z.B. in Deutschland engagieren. Männern wie Robert Franken, Vincent Emmanuel Herr von Herr & Speer, die Male Feminists Europe, die #men4equality und die vielen anderen, die ich leider noch nicht kennen lernen durfte. Sie alle haben schon früh erkannt, dass sie, die Männer, gefordert sind, wenn es um Gleichberechtigung geht. Wenn es um Sexismus, sexuelle Gewalt und Gewalt gegen Frauen und Kinder geht. Bisher in der lauten Öffentlichkeit noch nicht richtig wahrzunehmen, sind sie die Wegbereiter einer neuen selbstbewussten Männlichkeit. Die ihr Selbstbewusstsein nicht aus der Macht gegenüber Frauen und Kindern zieht. Danke!
Mit Sicherheit gibt noch viel mehr solche Männer. Die bisher geschwiegen haben. Bitte, redet. Sagt laut und deutlich, dass Ihr diese Kultur nicht mehr wollt. Dass Ihr Euch daran nicht mehr beteiligt. Tut es für Euch selbst und für uns. Für unsere Kinder. Tut es für eine bessere Welt Gemeinsam können wir endlich das Jahrtausende geltende alte Herrschaftssystem männlicher Überordnung über die Frauen beenden.
Weil wir alle Menschen sind, alle gleich. Gleich an Würde, gleich an Rechten, gleich an Freiheit.