Dank der Frauen, die unter dem Hashtag #MeToo endlich wagten – oft erst nach langer Zeit – über ihre Erfahrungen mit sexueller Gewalt, Nötigung, Übergriffen und Belästigung im beruflichen Umfeld zu sprechen, ist das Thema nun endlich in der Öffentlichkeit. Die anhaltende Diskussion in Medien, Politik und Gesellschaft zeigt, dass es kein Zurück mehr gibt in ein Abwiegeln, Wegsehen, Verschweigen, in die Komplizenschaft mit den Tätern, „Victim-Blaming“, der Verharmlosung und des Nichtanhörens.
Jetzt ist es Zeit, in Deutschland #TimesUp zum Täterschutz zu sagen! Und sich den Überlebenden zu zuwenden, sie anzuhören, ihnen Schutz und Sicherheit zu geben. Besonders den schwächsten Überlebenden sexueller Gewalt und Übergriffen in unserer Gesellschaft. Den Frauen und Männern (ja, auch Männer), den Kindern und Jugendlichen, die in Abhängigkeitsverhältnissen davon betroffen sind? Am 23.10.2017 schrieb ich im Blog fraupolitik “#MeToo – endlich endet das Schweigen der #Männer!?“: „Besonders zerstörerisch wirkt diese Gewalt, wenn sie von Männern in “Helferberufen“ ausgeübt wird. Von Coachs, Therapeuten, Psychologen, Psychiatern, Sozialarbeitern und -pädagogen, Erziehern, Betreuern im Jugendamt und den vielen anderen, die ihre starke Macht des Helfers ausnutzen. Deren Aufgabe es ist, Frauen und Kinder zu schützen, ihnen in beruflichen, sozialen, psychischen, existenziellen Notlagen zu helfen. Die betroffenen Frauen und Kinder haben oft gar keine Stimme mehr, um #MeToo zu sagen.“
Wer spricht für sie? Wer gibt ihnen eine Stimme? Wer schützt sie, die als Schutzbefohlene den Tätern in besonderer Weise ausgeliefert sind? Wohin sollen sie sich wenden? Wer ist ihr Opferanwalt? Sie sind oftmals aus persönlichen, sozialen und psychischen Gründen nicht in der Lage, allein Hilfe zu suchen und den Täter anzuzeigen.
Die Organisationen in denen die Täter arbeiten oder denen sie angehören, wollen sich oft gar nicht mit dem Fehlverhalten ihrer MitarbeiterInnen und Mitglieder befassen. Aus Eigeninteresse und zur Vermeidung schlechter PR schützen sie oft lieber die Täter aus den eigenen Reihen statt deren Opfer zu unterstützen.
Das Strafgesetzbuch, dreizehnter Abschnitt: “Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung“ ist da auch keine Hilfe. Viele Überlebende sind nicht in der psychischen Lage, eine Anzeige und das anschließende Justiz-Verfahren durchzustehen. Die deutsche Justiz schützt und unterstützt ja auch viel eher die Täter, wie die letzten Fälle brutalster sexueller Gewalt gegen Kinder gezeigt haben:
Die Täter werden geschont, sie haben “Chancen“ verdient, besonders wenn sie “Größe“ zeigen und gestehen? Dabei erkaufen sie sich mit ihren Geständnissen in den meisten Fällen nur das Wohlwollen der Richter und damit ein vermindertes Strafmaß. Haben die Überlebenden demgegenüber lebenslang verdient?
Müssten nicht gerade Polizei, Justiz, öffentliche Verwaltung, Kinder- und Jugendhilfeeinrichtungen, Kirchen, Mediziner, Psychologie und Psychotherapie die ersten Anwälte der Betroffenen von sexueller Gewalt in Abhängigkeitsverhältnissen sein? Und der unterstützende, zugewandte, Sicherheit gebende Umgang mit ihnen oberstes berufliches Gebot? Wo ist der Paradigmenwechsel vom Täterschutz hin zum Opferschutz für diese Berufsfelder in deren Ausbildung?
Gerade von z.B. Priestern, TheologInnen, SozialpädagogInnen und -arbeiterInnen, Medizinern, PsychologInnen und PsychotherapeutInnen ist doch eine besondere Sensibilität im Umgang mit Überlebenden sexueller Gewalt zu erwarten? Werden sie nicht fast täglich in ihrer Arbeit mit den Folgen von Traumatisierungen durch sexuelle Gewalt konfrontiert. Sie haben deshalb schon von Berufs wegen eine besondere Verantwortung für den Schutz der Überlebenden. Vor allem dann, wenn die Täter aus ihren eigenen Reihen kommen!
Wenn betroffene Menschen sich nicht zu einer Anzeige bei der Polizei entschließen können, sind sie ihre einzige Möglichkeit, einen sexuellen Übergriff trotzdem zu benennen. Deshalb sind bei Anzeige oder Beschwerde gegen eine/n ihrer MitarbeiterInnen oder Mitglieder ein geordnetes, die Überlebenden schützende Verfahren und speziell geschulte MitarbeiterInnen als GesprächspartnerInnen gefordert. Nur so ist es Betroffenen möglich, eine sexuelle Gewalttat oder auch den Versuch – denn der ist nach §174 StGB ebenfalls strafbar – anzuzeigen, ohne erneut verletzt und vielleicht sogar traumatisiert zu werden.
Nehmen wir z.B. das Vorgehen einer Landespsychotherapeutenkammer, die Berufsaufsicht über ihre Kammermitglieder ausübt. Eine Beschwerde gegen ein Kammermitglied scheitert, bevor sie überhaupt vorgebracht werden kann. Sie wird von irgendwelchen MitarbeiterInnen der Geschäftsstelle am Telefon abgehandelt. Ohne einen ernsthaften professionellen Versuch einer Klärung wird die Annahme der Beschwerde telefonisch abgelehnt. Das Opfer hat keine Chance, zumindest erst einmal angehört zu werden! Der abwehrende Umgang seitens dieser Landespsychotherapeutenkammer demonstriert deutlich die Haltung: Täterschutz geht auch hier bei den Psychotherapeuten vor Opferschutz und -hilfe!
So ist auch verständlich, dass viele Überlebende lieber schweigen als sich immer wieder neu dem Gefühl von absoluter Ohnmacht, Wehrlosigkeit und Ausgeliefertsein auszusetzen. Das Gefühl ohne jeden Schutz und Hilfe zu sein, kein Gehör und keinen Glauben zu finden bleibt.
Deshalb sind die folgenden Forderungen an den Gesetzgeber so wichtig:
Nach Mord ist sexuelle Gewalt der am tiefsten verletzende Eingriff in die physische und psychische Unversehrtheit des Menschen. Die Überlebenden leiden oft lebenslang an den Folgen. Deshalb muss Opferschutz vor Täterschutz stehen und das Strafmaß für Täter an der Schwere der sexuellen Gewalttat und an der Schwere der Folgen für die Überlebenden ausgerichtet sein. Eine Strafmilderung kann nicht durch “Geständnis“ erkauft werden. Dies gilt im besonderen Maße für Taten gegen Schutzbefohlene.
Da traumatisierte Überlebende sexueller Gewalt oft erst nach Jahren in der Lage sind, über die Taten zu sprechen, sie zu benennen und anzuzeigen, darf es keine Verjährungsfristen geben. Dies muss auch für alle Organisationen, Berufsverbände, Kammern und Kirchen, die Berufsaufsicht über die Täter haben, gelten.
Täter, die sexuelle Gewalt gegen Schutzbefohlene im Beruf ausgeübt oder versucht haben, müssen mit einem lebenslangen Berufsverbot belegt werden, unabhängig von dem Schweregrad der Gewalttat oder ob es beim Versuch blieb.
Nur wenn wir uns in Deutschland weg vom Täterschutz hin zum Opferschutz wenden, werden wir einen Umgang mit den Taten sexueller Gewalt erreichen, der für die Überlebenden Recht spricht! Bei dem die Überlebenden ernstgenommen, angehört und geschützt werden. Der die Überlebenden und alle anderen vor weiterer Gewalt des Täters schützt. Dies gilt im besonderen Maß für die Schutzbedürftigsten in unserer Gesellschaft, für die Kinder, Jugendlichen, Frauen und Männer die zum Täter in einem Abhängigkeitsverhältnis stehen.