Überleben von Verbrechen sexuelle Gewalt in Deutschland und die “Gnade der Beteiligung“

Die “Gnade der Beteiligung“!

Überall in Deutschland wird seit einigen Jahren die “Gnade der Beteiligung“ gewährt. Erteilt wird diese Gnade an Überlebende der Verbrechen sexuelle Gewalt gegen Kinder und Jugendliche. Erteilt von den Vertretern der Täterorganisationen, von Mittäter:innen, von bereits in den Stand der Gnade erhobenen Überlebenden und den Fachexpert:innen. Sie befinden darüber, wem diese Gnade zuteil wird, welche der Überlebenden der Verbrechen sexuelle Gewalt sich dieser Gnade als würdig erweisen.
Ihnen wird die Macht überlassen, die „Gnade der Beteiligung“ nach Gutdünken zu gewähren. Ohne eine Offenlegung der – wenn überhaupt vorhandenen – Kriterien ihrer Auswahl.

Alle Betroffenenbeiräte, sei es in der UBSKM, in den Täterorganisationen Sport, Kirchen und Religionsgemeinschaften, Kinder- und Jugendhilfe und anderen, sie alle befinden sich bereits im Stand der “Gnade der Beteiligung“.

Beteiligung von Überlebenden der Verbrechen sexuelle Gewalt in Täterorganisationen und bei der UBSKM.
Betroffenenbeteiligung ist die neue Beschwörungs- und Zauberformel für Täterorganisationen inklusiv des Staates, damit alles so bleibt, wie es ist. Von Herrens Gnaden, nach Herrens Auswahl und Belieben und nach Herrens Wille. Dazu garniert man die vermeintliche Aufklärung, Verfolgung und Aufarbeitung der Verbrechen sexuelle Gewalt mit den Sahnehäubchen Fachexpert:innen. Man schafft zahlreiche mit Fachexpert:innen besetzte Aufarbeitungskommissionen, den Nationalen Rat, man setzt Beauftragte ein, man braucht Lenkungsgruppen, Aufsichtsräte, lässt Fachexpert:innen ständig tagen.
Bis heute ohne nennenswerte, auf Veränderung zielende Ergebnisse im Interesse und zum Wohle der Überlebenden der Verbrechen.

Alles auf Kosten und zu Lasten der Überlebenden der Verbrechen sexuelle Gewalt. Da kann dann auch nicht mehr viel übrig bleiben für die Unterstützung der Überlebenden, die ein ganzes Leben lang mit den physischen, psychischen und mentalen Verletzungen und Folgen dieser Verbrechen leben müssen.

Das alles ist vielleicht noch gut gemeint als ein Akt übermächtigender, bevormundender Barmherzigkeit von Nicht-Betroffenen. Es führt aber zu keiner wirklichen Veränderung der Gesellschaft, zu keinem gerechten Umgang mit den Überlebenden der Verbrechen sexuelle Gewalt, zu keiner gerechten Gesetzgebung und Rechtsprechung. Es dient nicht der konkreten Unterstützung der Überlebenden, es setzt nicht das Recht der Überlebenden durch, es führt nicht zu verbessertem Kinderschutz und Prävention.

Aus unserer Sicht“ – die UBSKM, der erwählte Betroffenenrat und die “Gnade der Beteiligung“. Jetzt gibt es also einen neuen Aufruf zur Gründung eines „bundesweiten Netzwerks von Betroffenen für Betroffene von sexualisierter Gewalt in Kindheit und Jugend“. “Aus unserer Sicht“ heißt der Aufruf eines Kernteams aus dem bereits im Stande der “Gnade der Beteiligung“ befindlichen Betroffenenrates der UBSKM.
Aus unserer Sicht“
Dazu einige Anmerkungen:

  • Die Initiierung einer unabhängigen, bundesweiten Selbstvertretung von Überlebenden ist Aufgabe der UBSKM. Die Beauftragung und finanzielle Ausstattung des Vereins N.I.N.A. e.V. als alleinigem Träger der Planungsphase für diese Aufgabe durch die UBSKM und das BMFSFJ ist nicht nachvollziehbar. Die Gründung einer unabhängigen Selbstvertretung können Überlebende mit finanzieller Unterstützung der UBSKM/ des BMFSFJ selbst planen, organisieren und durchführen.
  • Das Verfahren läuft erneut auf die Gewährung der “Gnade der Beteiligung“ hinaus. Überlebende, die sich beteiligen wollen, müssen sich vorab bewerben. Es werden dann einige wenige von einer, von wem auch immer “erwählten“ Kerngruppe aus dem Betroffenenrat der UBSKM auserwählt. Dieses Verfahren entspricht der bisherigen Vorgehensweise der UBSKM, des Staates, der Kirchen und anderer Täterorganisationen bei der Besetzung der jeweiligen Betroffenengremien. Auch diesmal soll in einem intransparenten, bevormundenden und übermächtigenden Akt die “Gnade der Beteiligung“ erteilt werden. Fachliche, sach- und themenbezogenen Kriterien werden, wenn überhaupt vorhanden, nicht kommuniziert.
    Wie bei allen abhängigen Betroffenengremien erweckt auch dieses Verfahren den Anschein, dass nur diejenigen “erwählt“ werden, die sich gegenüber den Auswahlgremien als willfährig zeigen und deren außerhalb der Überlebenden liegenden Interessen mittragen.
    „Die Auswahl der Teilnehmenden wird durch ein Auswahlgremium bestehend aus Mitgliedern der Kerngruppe, N.I.N.A. e. V. und weiteren Akteur*innen mit Fach- und Betroffenen-Expertise zusammengestellt.“ https://aus-unserer-sicht.de/was-wollen-wir
  • Die Auswahl weiterer Akteur:innen mit Fach- und Betroffenen-Expertise unterliegt ebenso einem intransparenten Prozess. In Deutschland gibt es genügend Überlebende, die Fachexpert:innen für das Thema: “Sexuelle Gewalt gegen Kinder und Jugendliche“ sind. Diese sind durchaus in der Lage, ihre fachliche Expertise unabhängig von der je eigenen Betroffenheit einzubringen.
  • Eine, nicht von externen Interessen geleitete Betroffenenbeteiligung bei der Gründung eines Netzwerkes kann nur durch einen, sicher zeitintensiven Beteiligungsprozess aller Betroffenen, die sich dabei engagieren wollen, gewährleistet werden. Statt erneut intransparente Verfahren ohne Offenlegung der Kriterien einer Auswahl sowie einen, für diese Aufgabe mit Bundesmitteln refinanzierten Verein in der Planungsphase zu installieren, ist ein offener Gründungsprozess zielführender.
    Zur Gründung einer bundesweiten Selbstvertretung von Überlebenden bedarf es keiner anderen Fachexpertise als die der Überlebenden selbst. Die selbstorganisierte Gründung eines bundesweiten Netzwerkes der Überlebenden kann von der UBSKM bzw. dem BMFSFJ allein in einem basisdemokratischen Prozess initiiert und finanziert werden. Statt einer Übermächtigung und Bevormundung der Überlebenden.

Es ist ein neuer wohlmeinender hilfloser Versuch der UBSKM, der Beteiligung von Überlebenden von sexueller Gewalt in Kindheit und Jugend im Rahmen staatlichen Handelns mehr Raum als bisher zu geben. Der Versuch bleibt jedoch wieder in den durch die Politik vorgegebenen patriarchalischen und paternalistischen Strukturen stecken, die sich auch seit Einsetzung des UBSKM nicht wirklich verändert haben.
Eine konservative, patriarchalische Politik in Deutschland sourct das Thema „Sexuelle Gewalt gegen Kinder und Jugendliche seit 1945 bis heute“ konsequent aus, um sich nicht weiter mit der eigenen Verantwortung für Verharmlosung, Verschweigen und Vertuschen dieser Verbrechen auseinandersetzen zu müssen. Spätestens seit den achtziger Jahren sind die Fakten zu diesen Verbrechen öffentlich. Seitdem versickert das Thema immer wieder neu in wohlmeinenden, teils rein populistischen Lippenbekenntnissen der deutschen Politik.

Das Recht der Überlebenden – die Expert:innen für das Verbrechen Gewalt und sexuelle Gewalt gegen Kinder und Jugendliche.
Wir sind die Überlebenden eines das Leben in seiner Ganzheit irreversibel verletzenden physischen, psychischen, mentalen totalen Angriffs durch Täter:innen des Verbrechens sexuelle Gewalt. Nach Mord die tiefste, irreversibel Verletzung der physischen, psychischen und mentalen Unversehrtheit eines Menschen. “Tatort des Verbrechens sexuelle Gewalt ist der eigene Körper.“ (Eva Nowatschek SNAP, Twitter)
Überlebende sind ein Querschnitt der deutschen Gesellschaft in Bezug auf Geschlecht, sexuelle Orientierung, Alter, heutiger sozialer Situation und Status, sozialer und geografischer Herkunft, Bildung, Ausbildung, Religionszugehörigkeit …!
Überlebende sind die Expert:innen für das Verbrechen sexuelle Gewalt gegen Kinder und Jugendliche und deren Auswirkungen. Sie sind die Expert:innen für Täter:innen, Täter:innen-Strategien, das Deckmantelumfeld, die diese Verbrechen stützenden, fördernden Strukturen in der Gesellschaft. Sie sind die Expert:innen für wirksamen Kinderschutz und Prävention.
Viele Überlebende wollen im partnerschaftlichen, gleichberechtigten Miteinander auf Augenhöhe eine sachgerechte Aufklärung, Verfolgung und Aufarbeitung der Verbrechen. Anstelle von immer neuer Übermächtigung und Bevormundung durch Täter:innen, Mittäter:innen, Helfer:innen, Täterorganisationen, Staat, Hilfsorganisationen, Therapeut:innen, familiäres Umfeld und Deckmantelumfelder.
Sie wollen als Partner:innen und Expert:innen akzeptiert, beteiligt und gehört werden.

Das Recht der Überlebenden – Eine unabhängige Dachorganisation!
Wie bereits einige Initiativen von Überlebenden in Deutschland gezeigt haben, können sich die Überlebenden der Verbrechen sexuelle Gewalt aus den unterschiedlichen Tatkontexten durchaus selbst organisieren, ihre Interessen selbst vertreten und selbst Gerechtigkeit einfordern!
Heute ist es Zeit für eine unabhängige Lobbyorganisation der Überlebenden aus allen Tatkontexten gegenüber der aktuellen Politik in Deutschland mit folgenden Forderungen:

  • Abschaffung der Verjährung
  • Übernahme von Aufklärung, Verfolgung, Aufarbeitung aller Verbrechen sexuelle Gewalt durch den Rechtsstaat
  • Schaffung Betroffenenorientierter Verfahren bei Polizei und Justiz
  • Anerkennung der physischen, psychischen, mentalen Verletzungen und Folgen der Verbrechen sexuelle Gewalt als Beweise auf der Basis aktueller wissenschaftlicher Erkenntnisse
  • Kein Freikauf der Täter:innen durch Geständnisse
  • Wesentlich höhere Strafmaße für das Verbrechen sexuelle Gewalt, nach Mord die tiefste, irreversible Verletzung der physischen, psychischen und mentalen Unversehrtheit eines Menschen
  • Lebenslange Berufsverbote für Täter:innen in Berufen mit Menschen in irgendeiner Form der Abhängigkeit zu ihnen
  • Anpassung des Entschädigungsrechtes an die aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisse über die lebenslangen physischen, psychischen, mentalen Verletzungen und Folgen der Verbrechen sexuelle Gewalt.

Wir brauchen eine unabhängige Lobbyorganisation gegenüber den einzelnen Täterorganisationen, solange diese Aufklärung, Verfolgung und Aufarbeitung von Verbrechen sexuelle Gewalt durch Täter:innen in Selbstverwaltung in Deutschland betreiben dürfen.
Weitere Aufgaben einer Selbstvertretung der Überlebenden könnten sein:

  • Entwicklung von Standards für Aufklärung, Verfolgung und Aufarbeitung von Verbrechen sexuelle Gewalt für Staat, Polizei und Justiz und Täterorganisationen
  • Entwicklung von Standards für Überlebenden orientierte Verfahren bei Polizei, in Justiz, Kinder- und Jugendhilfe und Hilfsorganisationen
  • Entwicklung von wirksamen Konzepten zur Prävention und Kinderschutz
  • Unabhängige Informations- und Aufarbeitungskommission zu Verbrechen sexuelle Gewalt in Deutschland seit 1945 bis heute in Zusammenarbeit mit Wissenschaft und Forschung
  • Konzeption und Organisation von geschützten Räumen innerhalb der jeweiligen Deckmantelumfelder:
    Räume, in denen Überlebende ohne Anwesenheit der Täter:innen frei sprechen können, in denen ihnen zugehört wird und geglaubt wird. Räume, in denen Überlebende über die Verbrechen sexuelle Gewalt und deren irreversiblen Verletzungen und Folgen informieren können, die in der Mitte des jeweiligen Deckmantelumfeldes verübt wurden. Räume, in denen Aufklärung, Aufarbeitung und Auseinandersetzung mit der Rolle und der Beteiligung des jeweiligen Deckmantelumfeldes bei Verbrechen sexuelle Gewalt gegen Kinder und Jugendliche möglich werden können. In denen die Überlebenden das Deckmantelumfeld mit deren Verantwortung konfrontieren können und dürfen.
    Denn es reicht nicht, “Geschichten erzählen, die zählen“ und die dann anschließend schnell wieder vergessen werden.
  • Niedrigschwellige Anlaufstelle für Informationen über und Angebot juristischer, therapeutischer, sozialer, beruflicher Unterstützung, Beratung und Begleitung
  • Leistung notwendender Einzelfall-Hilfe für Überlebende

Überleben von sexueller Gewalt in Deutschland – Die “Gnade der Beteiligung“ und das “Warten auf den Tod“.
Die Verbrechen sexuelle Gewalt gegen Säuglinge, Kleinkinder, Kinder und Jugendliche bilden eine schwärende, immer neu aufbrechende Wunde in den Gesellschaften, in denen wir leben. Alle Fakten zu Ausmaß und Schwere dieser Verbrechen sind spätestens seit den achtziger Jahren öffentlich bekannt. Geschehen ist seitdem von Seiten der Politik in Deutschland praktisch nichts!
Bis heute wird das Verbrechen sexuelle Gewalt in der männerdominierten Politik in Deutschlands verharmlost, verschwiegen und vertuscht. Aus einer männerzentrierten Gesetzgebung folgt eine vor allem die Haupttätergruppe Männer schützende Rechtsprechung. Der deutsche Staat erfüllt seit 1949 mitnichten seine Verantwortung für den Schutz von Kindern und Jugendlichen.
Die Gesellschaft und Politik wollen sich nicht ernsthaft mit dem größten bis heute andauernden Nachkriegsverbrechen in Deutschland, dem millionenfachen Verbrechen sexuelle Gewalt gegen Kinder und Jugendliche, auseinandersetzen. Sie wollen die diese Verbrechen fördernden und stützenden Strukturen in unserer Gesellschaft nicht sehen. #Deutschland atmet auf – Schuld an sexueller Gewalt gegen #Kinder haben letztlich die #Mütter? #childabuse

Sie wollen sich nicht mit der Tatsache konfrontieren, dass diese Verbrechen vor aller Augen tagtäglich in unseren Familien, in unseren Sportvereinen, in unseren Pfarrgemeinden und Kirchen, in unseren Schulen und Kitas, in der Kinder- und Jugendhilfe, in Medizin und Psychotherapie, in Kinderschutzorganisationen und an anderen Tatorten stattfanden und -finden.

Stattdessen wird das Verbrechen sexuelle Gewalt, nach Mord die tiefste, irreversible Verletzung der physischen, psychischen und mentalen Unversehrtheit eines Menschen, weiter verharmlost, verschwiegen und vertuscht. Täter:innen werden geschützt, sie erhalten aufgrund der die Verbrechen verharmlosenden Rechtsprechung immer neue Chancen, weitere Verbrechen auszuüben. Verantwortliche in den Täterorganisationen schauen nicht hin, schützen vor allem die Täterorganisation, sich selbst und die Täter:innen. Die Beweislast liegt immer bedingungslos bei den Überlebenden der Verbrechen. Deren physischen, psychischen und mentalen Folgen und Verletzungen werden aber nicht auf Basis aktueller wissenschaftlicher Erkenntnisse anerkannt. Die Überlebenden sehen sich i.d.R. vor allem die Haupttätergruppe Männer schützenden Verfahren bei Polizei und Justiz ausgesetzt. Sie werden dort konfrontiert mit Täter-Opfer-Umkehr, Vorverurteilung einer Falschaussage, mit Betroffenen-Beschämung und Verharmlosung der Verbrechen. Die Zermürbungstaktik von Staat und Täterorganisationen geht auf. Sie alle warten beharrlich darauf, dass die Überlebenden aufgeben. Oder auf die “biologische Lösung“ – deren Tod. Mit dem Instrument der Verjährung, mit überbordernder Entschädigungsbürokratie, immer neuen sog. Aufarbeitungsgremien … halten sie sich solange die Überlebenden der Verbrechen sexuelle Gewalt vom Leib.

Aber weder Verharmlosen, Verschweigen, Vertuschen, noch die Gewährung der “Gnade der Beteiligung“ oder das aussitzende “Warten auf den Tod“ der Überlebenden werden diese schwärende Wunde der Gesellschaft in Deutschland letztlich heilen.

Nur das Recht der Überlebenden!

Dieser Beitrag wurde unter Aktuell abgelegt und mit , , , , verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

Kommentar verfassen

Trage deine Daten unten ein oder klicke ein Icon um dich einzuloggen:

WordPress.com-Logo

Du kommentierst mit Deinem WordPress.com-Konto. Abmelden /  Ändern )

Twitter-Bild

Du kommentierst mit Deinem Twitter-Konto. Abmelden /  Ändern )

Facebook-Foto

Du kommentierst mit Deinem Facebook-Konto. Abmelden /  Ändern )

Verbinde mit %s