Schwimmen – Das hat mit #Religion nichts zu tun! Oder doch?

Verwundertes Augenreiben: Für Frauen und Männer getrenntes Schwimmen im öffentlichen Schwimmbad. Das kenne ich doch, das habe ich doch schon mal gehört. Und ich erinnere mich an meine Kindheit und Jugend. Mein erzkatholischer Großvater verbot uns als jugendlichen Mädchen und Jungen, gemeinsam in unserem Schwimmbad zu schwimmen. Bikini? Hatte bei uns lebenslanges Hausverbot. Ganz im Sinne einer erzkatholischen Auslegung der Schöpfungsgeschichte mitsamt Vertreibung aus dem Paradies. Es war ja nun mal eine durch diese Geschichte belegte Tatsache: Die Frau, die Verführerin! Der arme Adam fiel doch nur ahnungslos auf die böse Eva herein. Schuld war und ist immer die Frau. Steht doch so schon in der Bibel, im christlichen Alten Testament. Diese Geschichte musste bei uns zu Hause immer herhalten, wenn es um das Benehmen und die Bekleidung von Frauen und Mädchen ging. Das Christentum hat die Texte des Alten Testaments übrigens vom Judentum. Auch der Islam verweist auf diese alten jüdischen Texte.

Wie habe ich aufgeatmet, als ich endlich verstand, dass dies nur Geschichten sind, die von Menschen im Kontext einer lang vergangenen Zeit als Zeugnisse ihrer Glaubenserfahrungen erzählt wurden. Geschichten, die seit mehr als zweitausend Jahren von Männern im Interesse des eigenen Machterhalts gedeutet und von Generationen von Frauen ungeprüft weiter getragen und vorgelebt wurden. Ob deshalb heute fundamentalistische evangelische und katholische Gruppen die Klagen fundamentalistischer islamischer Gemeinden mit Interesse beobachten? Gruppen, die religiöse Partikular-Interessen in Deutschland durchsetzen wollen? Hoffen Sie auf juristische und politische Entscheidungen, die Religionsfreiheit einzelner religiöser Gruppen wieder über den Gleichheitsgrundsatz des Grundgesetzes und der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte setzen? Hoffen Sie darauf, dass auch sie dadurch wieder mehr Einfluss auf den Staat ausüben können?

Endlich ist Religion wieder wer!? Endlich Schluss mit dem Genderwahnsinn? All das “dumme“ Gerede von der Gleichberechtigung. Endlich wird die Frau wieder auf ihren Platz und ihre Rolle verwiesen, eine gute Frau ist eine Mutter möglichst vieler Kinder, ihr Platz ist zu Hause? Endlich muss Frau wieder die Bluse zu machen? Und schon immer wussten Eltern welcher Mann für die Tochter gut ist? Endlich ein Ende des Sexualkundeunterricht? Endlich steht der §218 wieder zur Diskussion? Endlich wieder Geschlechtertrennung im Sportunterricht, am liebsten in der ganzen Schule? Endlich wieder Einfluss einer religiösen Gerichtsbarkeit auf den Staat? Endlich Heterosexualität wieder als gesellschaftliche Norm und jede andere sexuelle Orientierung ist wieder “des Teufels“? Was brauchen wir eine neues Sexualstrafrecht, die Frauen sind doch die Verführerinnen, sie sind immer schuld!? Steht doch so schon in den Texten, die den drei monotheistischen Religionen gemein sind. Ordnung muss wieder her, der “echte“ Mann das Sagen und die Frau schweigt und dient. Unsere Kinder sollen bitteschön nicht infiziert werden mit gefährlichen Viren: Toleranz, Respekt, Freiheit, Gleichheit aller Menschen egal welcher Herkunft, Geschlecht, sexueller Orientierung, ob mit oder ohne Religion.

Auch von Teilen der CDU ist das zu erwarten. Sie tat sich unter dem Einfluss vor allem der katholischen Kirche immer schon schwer mit der Gleichberechtigung, dem Selbstbestimmungsrecht der Frau oder dem Gleichheitsgrundsatz der sexuellen Orientierung. Unter dem Deckmantel Integration begrüßt mancher christliche CDU-Mann heute die fundamentalistischen, patriarchalischen islamischen Brüder im Geiste und deren Frauen. Sie beschwören gemeinsamen Werte, besonders deren Familien- und Frauenbild.

Erstaunlich ist allerdings, dass unter den Befürwortern heute auch die zu finden sind, die noch vor Jahren zu Recht erbitterten Widerstand gegen religiösen Einfluss auf den Staat und die Gesetzgebung geleistet haben. Die bis heute mit Vehemenz für die Freiheits- und Selbstbestimmungsrechte der deutschen Frauen kämpfen. Auch SPDler, Grüne, Linke machen sich plötzlich stark für einen Rückschritt in die 50ziger Jahre, als Religion noch das gesellschaftliche Leben bestimmte.

Wollen sie in einer Art neokolonialer, patriarchalischer Romantik den fremden “Wilden“, ein Leben wie zu Hause bieten? Sie erheben Partikular-Interessen einiger religiöser Gruppen plötzlich zum Kulturgut aller Menschen, die zu uns kommen. Aber auch die Menschen im Iran, Syrien, Saudi-Arabien, Afghanistan, den Maghreb-Staaten und anderen außereuropäischen Herkunftsländern leben im 21. Jahrhundert. Auch in diesen Ländern lebten und leben Menschen, die den Einfluss von Religion auf das gesellschaftliche Leben und den Staat kritisieren. Die eine freie Gesellschaft wollen, in der eben gerade Religion keinen Einfluss auf ihr Leben hat. Sie kommen dafür in ihren Ländern ins Gefängnis, werden verfolgt, gefoltert und getötet. Ihnen haben wir in der Vergangenheit genau aus diesem Grund Asyl geboten. Weil sie sich nicht einer fundamentalistischen, patriarchalischen Theokratie unterwerfen wollten. Die Frauen im Iran, in Afghanistan, in Saudi-Arabien und anderen Staaten bezahlen ihren Kampf um Gleichberechtigung gegen die herrschenden Theokratien mit dem Leben. Sie werden inhaftiert, gefoltert, verfolgt und getötet. Und wir erkennen die Ungleichbehandlung von Frauen aus “religiösen“ Gründen plötzlich als beachtenswertes Gut einer fremden Kultur an?

Aus einem naiven, neokolonialen und patriarchalischen Integrationsverständnis heraus, verweigern wir den Menschen, die zu uns kommen, den halbwegs funktionierenden Konsens unserer Gesellschaft. Wir wollen diesen aufgeben, zugunsten eines neuen Einflusses der Religionen auf den Staat. Das ist ein Rückschritt in die 50er, 60er und 70er Jahre in Deutschland! Als Männer noch Frauen vorschrieben, was sie zu tun und zu lassen hatten. Was sie anziehen sollten. Männer definierten, wann und wie Frauen am öffentlichen, gesellschaftlichen Leben teilnehmen durften. Männer machten die Gesetze für Frauen. Auch darüber, was eine strafbare sexuelle Handlung ist und was nicht. Und dies unter dem Einfluss besonders der katholischen Kirche.

Wollen wir das wirklich wieder? Müssen wir nicht mit allen juristischen und politischen Mitteln jeden Versuch einer religiösen Gruppe, ihre Partikular-Interessen in der Gesellschaft durchzusetzen, mit Entschiedenheit zurückweisen?

Wie werden wir denn zukünftig mit der Forderung einer religiösen Gruppe umgehen, nichtheterosexuelle Menschen dürfen ihre Kinder nicht unterrichten? Wir weisen solche Anliegen bisher zurück unter Verweis auf unser Grundgesetz und die allgemeine Erklärung der Menschenrechte. Wenn christliche Eltern ihre Kinder nicht am Sexualkundeunterricht in der Schule teilnehmen lassen wollen, lehnen wir diesen Wunsch ab. Aber wenn strenggläubige islamische Eltern ihre Töchter aus religiösen Gründen nicht am gemeinsamen Sportunterricht und an Klassenfahrten teilnehmen lassen, beginnen wir über Geschlechtertrennung in Schule zu diskutieren?

Unser gesellschaftlicher Konsens soll plötzlich aufgehoben werden, weil eine kleine religiöse Gruppe dies so wünscht? Hier stehen Einzelinteressen religiöser Gruppen über einem gesellschaftlichen Konsens, den wir auf der Basis des Gleichheitsgrundsatzes in unserer Gesellschaft, mühsam zwar und immer wackelig, aber gefunden haben. Das gilt für den Sexualkundeunterricht, wie für den jetzt existierenden Paragraph 218. Das gilt für den koedukativen Unterricht, wie für das Heiratsalter, für unser öffentliches gesellschaftliches Leben ohne Geschlechtertrennung, auch in öffentlichen Bädern, und für vieles mehr.

Immer wieder versuchen religiöse Gruppen, ob christlich, jüdisch, islamisch, ihre Partikular-Interessen unter dem Verweis auf Religionsfreiheit des Einzelnen den Interessen und Bedürfnissen aller Menschen unserer Gesellschaft überzuordnen. Nur durch ein konsequentes Besinnen auf den Gleichheitsgrundsatz, der vor der religiösen Freiheit steht, wird ein Staat allen Interessen gerecht.

Das haben unsere Gesellschaft und dieser Staat in den letzten Jahren gegenüber den christlichen Kirchen geschafft. Das müssen sie beibehalten auch und erst recht gegenüber den fundamentalistischen, patriarchalischen islamischen Religionsgruppen.

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